Kuba: Ein Land zwischen zwei Zeiten
Wirklich: Kuba. Ich weiß ehrlich gesagt überhaupt nicht, wo ich anfangen soll. Tatsächlich echt auf Kuba zu sein fühlt sich so unwirklich an. Ein ähnliches Gefühl hatte ich allenfalls bei meiner ersten Reise in die USA: Etwas, was man sich lange Zeit gewünscht hat, aber nicht richtig damit gerechnet hat, dass es wirklich passieren würde, wird von einem Augenblick auf den anderen Wirklichkeit. Und genau wie bei den USA habe ich ein schwammig-undefiniertes Bild davon, was mich auf Kuba erwartet – und was ich von Kuba erwarte. Die Autos aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Sozialismus. Unzählige Che-Konterfeis auf den Häusern. Rum. Zigarren. Menschen, die in stickigen Räumen Arbeitern die Zeitung vorlesen (zugegeben – diese Vorstellung stammt aus James Bond). Handshake mit Fidel. Naja, das vielleicht nicht unbedingt. Aber nun ja – eine Vorstellung eben.
Hecho en Cuba
Um die Spannung nicht ins Unermessliche wachsen zu lassen: Kuba ist all das. Von den letzten beiden Punkten vielleicht einmal abgesehen. Aber es ist auch ganz anders. Und es ist auf jeden Fall ganz anders als jeder Ort, den ich bisher besucht habe. Rebecca fasst es gut in Worte: „Kuba ist der einzige Ort der Welt, für den man sich noch umgewöhnen muss.“ Es stimmt: Selbst in Asien, wo ich nicht einmal die Sprache spreche, komme ich einfacher zurecht als auf Kuba. Ich gehe einfach in einen beliebigen 7-Eleven und kaufe mir eine SIM-Karte mit mobilem Internet. Auf Kuba gibt es keinen 7-Eleven. Und erst recht kein mobiles Internet. Es gibt nicht einmal stationäres Internet, jedenfalls nicht in Privathäusern. Im kubanischen Supermarkt gibt es keine Chips, statt Coca Cola gibt es Tukola (Hecho en Cuba, hergestellt in Kuba) und statt Marlboro kubanische Zigaretten (die ironischerweise „Hollywood“ heißen). Und in der Bar zwei Blocks weiter kann man zwischen exakt zwei Getränken wählen: Rum oder doppelter Rum. Der Doppelte kostet ziemlich genau das Zweifache des normalen Rums, was mit 6 Pesos aber immer noch sehr fair ist (24 Pesos = 1 CUC = ca. 1 Euro).
Mehr Touristen braucht das Land!
Natürlich ist das nur die eine Seite. Geht man eben nicht in die Bar zwei Blocks weiter, sondern in die Altstadt nach Habana Vieja und setzt sich in eine Bar für Touristen, bleibt von Kuba allenfalls noch die Musik. Stattdessen warten dort amerikanische Zigaretten, amerikanische Cola, amerikanische Cocktails und amerikanische Preise. Die sich Kubaner eben häufig nicht leisten können. Unsere Gastgeberin erklärt uns, dass Kubaner, sollten sie einem regulären Beruf nachgehen, rund 15 Dollar im Monat verdienen. Was naheliegenderweise dazu führt, dass das keiner macht. Für viele Kubaner ist daher der Tourismus besonders wichtig. So ist es beispielsweise erlaubt, seine Wohnung an Gäste zu vermieten, allerdings gibt es für diese „casas particulares“ fixierte Preise, die zwischen 25 und 30 CUC pro Nacht liegen. Selbst mit meinen vergleichsweise geringen Mathekenntnissen erscheint es mir sinnvoll, das Vermieten einer Wohnung einem regulären Job vorzuziehen. Daneben gibt es natürlich mit Hotels, Bars, Taxen, Fremdenführer und zahllosen weiteren Betätigungsfelder, Möglichkeiten, mit denen die Menschen legal auf eigene Rechnung arbeiten dürfen und damit deutlich besser fahren als bei einem staatlich kontrollierten Beruf.
Kubanischer Gelegenheitssozialismus
Überhaupt scheint in Kuba eine seltsame Form des Sozialismus vorzuherrschen. Wer für den Staat arbeitet wird schlecht bezahlt – deshalb macht es einfach keiner. Stattdessen arbeitet man auf eigene Rechnung, entweder legal oder illegal – so ungefähr scheint das hier nach meinem Eindruck zu funktionieren. Aber immerhin funktioniert es: Von Freunden aus Mexiko wurden wir vor der Abreise gewarnt: Die Armut sei erschreckend. Das stimmt nicht. La Habana (Havanna), die Hauptstadt, ist sicher in Teilen abrissreif und die alten Autos werden nicht aus sentimentalen Gründen gefahren, sondern weil man sich kein neues leisten kann – aber es gibt keine Bettler auf den Straßen, keine hungrigen Kinder und kaum Kriminalität. Auch wenn das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung mit Sicherheit unter dem mexikanischen liegt: Zumindest scheint der Sozialismus sicher zu stellen, dass die Bevölkerung nicht verhungern muss.
Das Ende der Revolution
Zufälligerweise sind wir an einem historischen Tag in Havanna: Vertreter der Regierungen der USA und Kuba traten am 27. Januar 2015 zusammen, um über die Errichtung einer US-Botschaft auf kubanischem Boden und die Erleichterung der Einreise für US-Bürger zu verhandeln. Unser Taxifahrer findet eine hübsche Analogie zu der Wiederaufnahme der Beziehungen: Die USA sind für Kuba wie ein Vater, der sein Kind immer wieder geschlagen hat. Eine solche Beziehung sei sicher zu reparieren, aber es würde Zeit und Vertrauen brauchen – und er wisse nicht, ob das klappt.
Bei unserem Besuch in 2015 scheint Kuba genau auf der Kippe zu stehen: Noch wirkt das Land, als wäre in den Sechzigern die Uhr stehen geblieben. Häuser und Autos könnten genauso gut die Kulisse für eine heruntergekommene Version von Mad Men darstellen. Aber unter der Oberfläche hat der Wandel längst begonnen: Der Sozialismus verliert eben seine Grundlage wenn jeder auf eigene Rechnung arbeitet, rund zwei Drittel der Autos sind dann doch keine Oldtimer mehr und auch wenn es vielleicht auch noch keine SIM-Karten mit Internet gibt, stammen die Handys schon häufig genug von Apple oder Samsung. Vermutlich ist es für die Kubaner im Großen und Ganzen das Beste, wenn sich das geschlagene Kind wieder mit seinem Vater versöhnt. Und trotzdem stimmt die Vorstellung, den einzigen Ort der Welt, für den man sich noch umgewöhnen muss (von Nordkorea vielleicht einmal abgesehen) zu verlieren, ein bisschen traurig.