Los Angeles: Mein Meeting mit Mila
Ich bin seit rund vier Stunden wieder in den USA und komme aus dem Staunen nicht heraus: Wie ungewohnt sich dieses Land nach einem halben Jahr in Mexiko plötzlich anfühlt! Am Flughafen werde ich mit einem typisch amerikanischen Cocktail begrüßt: Nachdem ich eine recht lange Wartezeit hinter mich gebracht habe, ist der erste Grenzbeamte unglaublich freundlich und wir unterhalten uns auf Englisch, Spanisch und ein paar Worten Deutsch („Your right hand please. Y ahorita tu pulgar… and now Daumen links. And the left hand.“) – wie viele Amerikaner war er bereits einmal in Deutschland und hat sich ein paar Wörter gemerkt. Wir beide müssen über den seltsamen Sprachmix lachen.
Mit dem zweiten Grenzbeamten ist nicht so gut Kirschen essen: Er wundert sich über meine Routenplanung und schickt mich kurz angebunden zur Kofferkontrolle – wo ich wiederum glücklicherweise auf einen Amerikaner mexikanischer Abstammung treffe, der sich mehr für meine Reiseerfahrung aus Kuba als für den Inhalt meines Koffers (in dem ich ironischerweise kubanische Zigaretten schmuggele) interessiert und mir seine Philosophie mit auf den Weg gibt: „Don’t marry until you‘re forty and learn to dance, man!“
Die Kuchenrepublik
Los Angeles ist eine riesige Stadt. Auch wenn es einwohnertechnisch natürlich nicht mit Mexico City mithalten kann (aber welche Stadt kann das schon?) ist die Fläche, die es belegt, einfach riesig und selbst aus dem Flugzeug nicht zu überblicken. Vom Flughafen bis nach North Hollywood brauche ich dann auch knapp zwei Stunden mit der Metro. Die deutlich weniger häufig fährt als in Mexico City. Und deutlich teurer ist. Aus Mexiko daran gewöhnt, dass es ohnehin keine verlässlichen Fahrpläne gibt, spreche ich einfach den nächstbesten Amerikaner an: „Excuse me, sir, is this the blue line?“. Bei der Antwort muss ich lachen: „Sorry, no speak english. Solo espanol.“ So wird einem die Eingewöhnung leicht gemacht. Ich frage also auf Spanisch und erhalte nach einem verwunderten Blick (wieso spricht dieser komische weiße Tourist Spanisch?) die gewünschte Antwort.
Ganz anders in dem Café, in dem ich darauf warte, von meinen Gastgebern abgeholt zu werden. Wenig überraschenderweise ist das „Republic of Pie“ ein absoluter Hipster-Laden – ich bin schließlich in North Hollywood. Man kann sich kaum einen größeren Unterschied zu meinem Lieblingstacoladen vorstellen. Während ich mich, Webworker der ich bin, an dem für zwei Stunden kostenfreien Wifi erfreue, nehme ich um mich herum ungewohntes Gebrabbel wahr: Alle sprechen Englisch! Nach sechs Monaten klingt das seltsam und fremd in meinen Ohren. Noch seltsamer sind aber die Gesprächsthemen: Hinter mir hält eine sehr hübsche, aber möglicherweise eher oberflächliche Amerikanerin mit Macbook einen Monolog über ihre nächste Show (von exakt der Länge meiner Wifi-Laufzeit – also der Monolog, nicht die Show), der nur durch gelegentliches „uh-hum“ ihrer Assistentin unterbrochen wird („And then I was thinking, look at me, then I was thinking we’d do a shot like ‚boom‘ you know? – Uh-hum.“). An einer anderen Ecke wird offensichtlich gerade ein Brainstorming über irgendein Projekt durchgeführt („So please let’s focus on the task at hand again, everyone!“). Wieder andere Gäste unterhalten sich über Filme oder TV-Serien („I loved how he died, but didn’t die at the same time, y‘know?“), während der amerikanisch-freundliche Barrista das Ganze regelmäßig durch das Ausrufen von Vornamen („Jerry! Lucas!“, und – nicht erfunden: „Diego!“) unterbricht. Und schon bestellt sich der nächste Vorzeige-Hipster mit zu kurzer Hose und Hut einen Macchiato mit Coconut Cream Pie (für zusammen Achtdollarneunzig).
Ein plötzlich fremdes Land
Als ich dem Ganzen für eine kurze Zigarettenpause entfliehe, schauen mich die Gäste auf den Sitzplätzen vor dem Café naserümpfend an. Zu spät sehe ich, dass Rauchen im Umkreis von 10 feet des Außenbereichs untersagt ist. Und merke: Die USA sind mir durch die Zeit in Mexiko ein wenig fremd geworden. Was natürlich für das Hundert-Prozent-Bio-LA mit seinen sprichwörtlichen Toyota Prius‘ und der political correctness in Extremform ganz besonders gilt.
Der nächste Tag. Da ich wieder arbeiten muss, mache ich mich erneut auf in das Republic of Pie. Und bestelle mir einen Macchiato mit Coconut Cream Pie. Was soll ich sagen – ich bin anpassungsfähig. Nach der Arbeit geht es wieder nach Hause. Ich bin bei denselben CouchSurfern untergekommen wie schon 2012, die einen typischen LA-Lebensstil pflegen. Aufstehen zwischen fünf und sechs Uhr morgens, dann erst mal ins Fitnessstudio, zur Arbeit (natürlich im TV-Business) zwischen acht und neun, nach Hause zwischen 18 und 19 Uhr – und danach: ausgehen. Die erste Uber-Fahrt meines Lebens bringt uns in das von ihnen hochgelobte spanische Restaurant, wo wir uns – erneut typisch LA – mit Freunden von ihnen treffen. Tatsächlich finden sich auf der Speisekarte des Restaurants überwiegend mexikanische Gerichte, bloß dass die Tacos hier 12 Dollar kosten. Und bei weitem nicht so gut schmecken wie in Mexiko. Aber gut, das wäre dann auch zu viel des Guten gewesen.
Jonas auf dem Walk of Fame
Die folgenden Tage passe ich mich dem Alltag der Zwillinge an (das frühe Aufstehen mal ausgeklammert) – tagsüber Arbeit, dann etwas trinken oder essen gehen und ab ins Bett. And repeat. Erst recht spät habe ich die Gelegenheit, mir LA erneut anzusehen und begebe mich natürlich – wie sich das für den Touristen und Filmfan, der ich nun einmal bin gehört – auf den Hollywood Boulevard. Alle paar Meter werde ich angesprochen: Mal von Mitarbeitern der Produktionsfirma einer TV-Show, die mir gerne Freikarten für eine Aufzeichnung mitgeben wollen, mal von Scientology-Anhängern, die mit mir einen kostenfreien Persönlichkeitstest machen wollen (ich lehne dankend ab – meine Persönlichkeit wurde in den letzten Jahren zur Genüge getestet wie ich finde) und mal von anderen Touristen, die auf der verzweifelten Suche nach dem Stern von X oder Y sind.
Vor Graumans Chinese Theatre, einem der ältesten und daher beliebtesten Kinos am Boulevard mit den Hand- und/oder Fußabdrücken zahlreicher Hollywood-Berühmtheiten mache ich Halt, um ein paar Fotos zu schießen. Und sehe wie ein roter Teppich ausgebreitet wird. Diesmal frage ich: „Is there a premiere tonight?“ Antwort: „Yeah, Jupiter Ascending. Mila Kunis will be here.“ Nun, ganz klar: Wo Mila Kunis ist, darf ich natürlich auch nicht fehlen. Nachdem man mir versichert hat, dass der Trubel erst um 18 Uhr losgehen wird, gehe ich in ein anderes Kino, um mir Birdman anzusehen (hier meine Review) – when in Rome do like Romans do.
Mein Name ist Nobody
Um 17 Uhr stehe ich wieder vor Graumans Theatre, wo sich bereits eine recht große Menschenmenge versammelt hat. Während ich auf Mila (und wer auch immer noch in dem Film zu sehen sein mag) warte, höre ich die Gespräche der Umstehenden mit, die mit den zahlreichen Stars prahlen, deren Autogramm sie auf dem einen oder anderen Festival und der einen oder anderen Premiere ergattern konnte. Es fühlt sich ein bisschen so an wie in der dritten Klasse beim Tauschen von Panini-Sammelbildchen („Yeah, I got Sean [Bean] when I was at Sundance.“ – „Oh really, did you? I’ve seen him three times but he never came out to us.“ – „Well yeah, I was surprised that he did, I heard he doesn’t usually do that.“).
Während wir warten und es dunkler wird, treffen nach und nach die wuchtigen Geländewagen ein, mit denen Stars anscheinend mittlerweile zu Premieren kutschiert werden. Jedes Auto wird von aufgeregtem Getuschel begleitet. Vermutlich wird selbst in Amerika nirgendwo so stark zwischen denen unterschieden, die bekannt sind, und allen anderen. Kaum steigt jemand aus einem Auto aus, kommt von allen Seiten die Frage: „Do you know him? Is that somebody?“
Irgendwann ist es dann soweit, und ein „somebody“ taucht auf: Eddie Redmayne. Danach geht es Schlag auf Schlag: Mila Kunis, Sean Bean (der tatsächlich nicht zu uns rüberkommt) und irgendein weiterer Darsteller aus „Jupiter Ascending“, den man anscheinend kennen muss (was ich nicht tue). Man hat mich vorher schon darauf vorbereitet: „When Mila arrives, remember to scream really loudly so she comes over.“ Entsprechend wird um mich herum jedes Mal laut „Mila/Sean/X, we love you.“ gerufen, wenn die jeweils passende Person aussteigt. Auch wenn ich in meiner angeborenen Arroganz natürlich versuche, etwas über dem ganzen Trubel zu stehen, gebe ich gerne zu, dass es schon aufregend ist, eine Person, die man sonst nur von der Kinoleinwand kennt, in Realität zu sehen. Besonders, wenn es Mila Kunis ist.
Raus aus der Traumfabrik!
Einige Tage später verlasse ich Los Angeles mit gemischten Gefühlen. Ich liebe das Fernsehen, Filme und Hollywood – aber LA scheint den Glamour und das Showbiz derartig verinnerlicht zu haben, dass es auch im realen Leben mehr Wert auf die schöne Fassade als auf echte Erfahrungen legt. Die Stadt gilt als Hochburg der Bio- und Nachhaltigkeitsbewegung, aber auch wenn an jeder Ecke ein überteuerter Bio-Markt wartet, machen die das immense Verkehrsaufkommen (es gibt einen Grund, warum Rush Hour in LA gedreht wurde) nicht wieder wett. Und die Liberalität in Los Angeles scheint mir manchmal ähnlich unreflektiert zu sein wie die ausgeprägt konservative Haltung im Süden der USA (Obama wird zum Beispiel gerne als „our president“ im Sinne von „unser Präsident des US-Westens“ referenziert).
Sitzt man in Los Angeles in einer Bar, umgeben von zahllosen Singles Ende 30, die sich über die Bildschirme über Smartphones hinweg unterhalten, kommt es einem deshalb manchmal so vor, als würde in dieser Stadt jeder eine Rolle spielen. Was sicherlich nicht stimmt, aber vielleicht färbt Hollywood eben doch mehr ab, als sich die Menschen hier bewusst machen möchten.