Mexiko: Raus aus Cancún – die blutige Geschichte von Yucatán
Wenige Wochen vor meiner Abreise besucht mich Rebecca in Mexiko. Nach so langer Zeit ist es schön, endlich mal wieder ein Gesicht zu sehen, dass man etwas länger als fünf Monate kennt. Nachdem wir uns im Schnelldurchlauf Mexico City und Puebla angesehen haben, geht es per Flieger nach Cancún – eigentlich war ein Roadtrip mit Freunden geplant, der letztlich aber daran scheiterte, dass es in Mexiko (und vielleicht weltweit?) unglaublich teuer ist, einen Mietwagen an einem Ort zu mieten und an einem anderen wieder abzugeben.
Was zuerst ein wenig enttäuschend war (nämlich, dass es mit dem Roadtrip nicht geklappt hat), stellte sich im Nachhinein als großes Glück heraus, denn: Mexiko ist wirklich arschgroß. Deshalb wäre der Roadtrip vermutlich schrecklich stressig gewesen. Stattdessen mieten wir uns also ein Auto in Cancún und können Yucatán in aller Ruhe erkunden. Für alle, die in mexikanischer Geografie wenig bewandert sind und Cancún (wie ich) bisher für eine Erfindung aus Hollywood gehalten haben: Cancún existiert tatsächlich und liegt im Südosten von Mexiko, gewissermaßen am letzten Ende vor den Bahamas, zu denen (Teaser für die nächste Folge!) ja bekanntermaßen auch Kuba gehört.
Cancún: Amerikanische Touristen und azurblaues Meer
Allerdings ist Cancún selbst eher hässlich. Aus diesem Grund habe ich dort auch kein einziges Foto gemacht. Wer es sich dennoch vorstellen möchte: Die Stadt ist im Prinzip ganz ähnlich wie Acapulco, das heißt: Voller Hotels, die aus Gründen der Bequemlichkeit direkt ans Meer gebaut wurden. Allerdings sei zur Ehrenrettung von Cancún erwähnt: Der Playa Delfines hat das schönste Wasser, welches ich in meinem 27-jährigen Leben zu sehen bekommen habe. Es sieht so unglaublich azurblau aus, dass ich ehrlich überrascht gewesen bin, dass es tatsächlich (das hat Wasser so an sich) durchsichtig war.
Aber wie der Titel schon nahelegt: Wir sind so schnell wie möglich aus Cancún raus und haben uns auf den Weg nach Tulum gemacht. Und ich spreche natürlich von dem Ort Tulum, nicht über den dem Feta ähnlichen türkischen Frischkäse.
Tulum (auf Mayathan Tulu’um, „Mauer“ oder „Festung“) liegt an der so genannten Riviera Maya, einem Küstenstreifen an der Karibikküste von Mexiko im Bundesstaat Quintana Roo, rund 130 Kilometer südlich von Cancún. Anders als alle anderen Maya-Fundstätten liegt Tulum direkt am Meer. Die bekanntesten Gebäude sind neben dem sogenannten Schloss der „Tempel des Herabsteigenden Gottes“, der „Tempel des Windes“ und der Freskentempel. – Wikipedia
Die letzte Maya-Stadt
Seine Lage direkt am Meer macht Tulum zu einem besonders beliebtem Ausflugsziel von Touristen aus aller Welt – wo kann man Kultur und Strand schon so gut miteinander verbinden? Tatsächlich hat der Ort aber, wie die ganze Halbinsel Yucatán, eine interessante Geschichte. Als ehemals bedeutendes Handelszentrum der Maya hatte es seine Blütezeit zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert
und selbst als die Spanier begannen, Yucatán zu erobern, hielt es spanischen Eroberungsversuchen rund 70 Jahre stand. Letztlich wurden die Maya von Tulum dann auch nicht auf dem Schlachtfeld von den Spaniern besiegt, sondern vermutlich durch von ihnen eingeschleppte europäische Krankheiten, gegen die das Immunsystem der Maya nicht gewappnet war. Ob die Spanier wie in anderen Teilen Lateinamerikas die Maya absichtlich infizierten oder ob es ein „glücklicher“ Zufall war, geben weder der Wikipedia-Artikel noch intensive Begutachtung der Überbleibsel einer verlorenen Kultur her. Heute wird Tulum überwiegend von amerikanischen Touristen in Badehosen und Leguanen bevölkert.
Eine Stadt zieht um
Von Tulum aus geht es vorbei an kleineren Dörfern weiter nach Valladolid (wird ausgesprochen wie Mallorca nur mit einer Reihe anderer Buchstaben), wo wir die Nacht verbringen. Valladolid ist eine kleine Stadt, die im Gegensatz zu Cancún und Tulum tatsächlich im Bundesstaat Yucatán liegt und eine bewegte Geschichte aufweisen kann. Gegründet wurde die Stadt von den Spaniern, die sie nach ihrer ehemaligen Hauptstadt benannten (die naheliegenderweise ebenfalls so heißt). Allerdings bauten die Spanier die Stadt erst ganz woanders, nämlich in der Nähe einer Lagune. Nach nur zwei Jahren fiel ihnen dann allerdings auf, dass dieser Ort eher minderintelligent gewählt war, weil sie permanent von Moskitos zerstochen wurden, woraufhin sie die Stadt an einen geeigneteren Ort umzogen, der allerdings bedauerlicherweise bereits von Maya besiedelt war.
Nachdem sie deren störenden Gebäude niedergerissen hatten, war die neue Stadt Anfang 1545 bezugsfertig. Im so genannten Kastenkrieg (zu dem ich später noch einmal komme) rächten sich die Maya allerdings bitter bei den mittlerweile rund 300 Jahre gealterten Bewohnern, indem sie nicht nur die Stadt zurück eroberten, sondern auch rund die Hälfte der Bevölkerung niedermetzelten, bevor diese das schützende Mérida erreichen konnten. Das sorgte für Unverständnis in der ehemals spanischen Latino-Bevölkerung.
Im Gegensatz zu den Einwohnern Valladolids erreichen wir am nächsten Tag sicher mit Mérida eine der schönsten und vor allem vibrantesten Städte unserer Reise. Vorher machen wir allerdings (da wir glücklicherweise nicht um unser Leben rennen mussten) Halt bei einer Cenote. Was wie eine ansteckende Tropenkrankheit klingt, ist tatsächlich ein „dolinenartiges Kalksteinloch, das durch den Einsturz einer Höhlendecke entstanden und mit Süßwasser gefüllt ist“ – oder einfacher gesagt: Ein See in einem Krater. An dieser Stelle mache ich einen kleinen Bogen über rund 65 Millionen Jahre Erdgeschichte zu den Dinosauriern. Diese sind laut der Alvarez-Hypothese durch den Einschlag eines massiven Asteroiden ausgestorben. Warum ich das erwähne? Yucatán ist – einfach ausgedrückt – dieser Asteroid und Cenoten sind die Löcher darin. Auf der Halbinsel Yucatán gibt es über 1.000 von den Dingern und sie sind zum großen Teil unterirdisch miteinander verbunden. Da ich als Raucher nicht besonders lange die Luft anhalten kann, verzichte ich auf die Probe aufs Exempel, aber auch vom Rand betrachtet sind Cenoten ein schöner Anblick.
Warum Yucatán zu Mexiko gehört
Nun zu Mérida: Mérida ist eine unglaublich triebsame, laute und faszinierende Stadt. Da die Straßen eher klein sind, befindet man sich eigentlich ständig im Gedrängel und so fühlt sich Mérida trotz für mexikanische Verhältnisse bescheidener rund 730.000 Einwohner an vielen Stellen voller an als Mexico City. Wie versprochen, komme ich an dieser Stelle auf den Kastenkrieg zurück, in dem Mérida insofern eine Sonderrolle einnahm, weil die Maya es dummerweise nicht eingenommen haben. Aber first things first: Als 1846 der Mexikanisch-amerikanische Krieg ausbrach, nutzte Yucatán die Gunst der Stunde und erklärte sich von Mexiko unabhängig.
Wenig überraschenderweise schlug sich diese Änderung kaum im
Leben der von den Yucatecos, den weißen ehemaligen spanischen Siedlern, ausgebeuteten Maya nieder. Diese griffen nach der Hinrichtung des Maya-Führers Manuel Antonio Hay 1847 selbst zu den Waffen, um ihre eigene Unabhängigkeit zu erlangen. Ein Jahr später war die gesamte Halbinsel mit Ausnahme von Yucatán und Campeche unter Maya-Kontrolle, die diese Situation allerdings nicht ausnutzten, sondern in ihre jeweiligen Dörfer zurück kehrten, um mit der Aussaat zu beginnen (da sie in erster Linie nicht Soldaten, sondern Bauern waren). Die Regierung des unabhängigen Yucatáns bot (in dieser Reihenfolge) den USA, Großbritannien und Spanien die Aufgabe der eigenen Unabhängigkeit an, unter der Voraussetzung, dass die jeweilige Eingemeindung mit der
Niederschlagung der Maya-Aufständischen verbunden wird. Nachdem die alle „Nein“ sagten, wand sich Yucatán an das wenig geliebte Mexiko, das prompt einwilligte und Truppen entsandte, die die Halbinsel schnell wieder unter Kontrolle brachten. So ist Yucatán heute Teil von Mexiko und Mérida wird (laut unserem Führer dort) nicht aus dem Grund als die „Weiße Stadt“ bezeichnet, weil es so viele weiße Gebäude gibt, sondern, weil es nie von den Maya eingenommen wurde und daher exklusiv von den weißen Yucatecos genutzt wurde, die sämtliche Maya einfach aussperrten.
Von Mérida aus geht es weiter nach Campeche und einen
größeren Gegensatz kann man sich kaum vorstellen: Während in Mérida das Leben pulsiert, wirkt Campeche nach diesem Eindruck fast ein wenig ausgestorben und wir bleiben nur einen Tag, bevor wir uns zurück auf den Weg in Richtung Cancún machen. Als Zwischenstation bietet sich dabei Celestún an, das für seine Möglichkeit zur Vogelbeobachtung, insbesondere von Flamingos, bekannt ist. Eine unnötig verwirrende Autofahrt über malerische mexikanische Backroads später kommen wir dort an und erreichen mit Glück das letzte Boot. Am nächsten Tag erreichen wir erneut Cancún, wo schon der Flieger nach Kuba auf uns wartet. Aber dazu mehr in der nächsten Folge.