Mexiko: Día de la Virgen de Guadalupe
Am 12. Dezember steht Mexiko City (oder für Kenner: DF) für einen Tag Kopf. Nein – das ist nicht ganz richtig. Mexico City steht eigentlich jeden Tag Kopf, aber am 12. Dezember ganz besonders. Der Hintergrund: Zu diesem Datum wird Santa María de Guadalupe oder kurz: die Virgen de Guadalupe gefeiert. Das heißt aus ganz Mexiko kommen Gläubige nach DF um die Jungfrau anzubeten und ihre Sünden vergeben zu bekommen. In eine Stadt, die schon unter normalen Umständen 22 Millionen Einwohner zählt. Und mitten drin: Aimee und ich.
An dieser Stelle vielleicht eine kurze Erklärung zu Aimee: Aimee ist eine Amerikanerin (ein Umstand, der sie dazu motiviert hat, die kanadische Staatsbürgerschaft zu beantragen, aber das nur am Rande), die ich vor rund zwei Jahren bei meiner US-Reise kennen gelernt habe. Da sie sich derzeit in Vorbereitung auf einen 5-monatigen, erzwungen veganen (ich sage nur: Yoga-Lehrerin) Mexiko-Aufenthalt befindet, habe ich ihr versprochen, ihr Puebla und mexikanische Tacos zu zeigen. Wer mehr wissen möchte, wird auf ihrem englischsprachigen Blog fündig.
Das aber nur als Exkurs. Zurück zur Virgen. Bei ihr handelt es sich um die wichtigste mexikanische Heilige – und das will tatsächlich etwas heißen. Wobei ich hier Begriffe vermische: Die Virgen de Guadalupe ist nämlich eigentlich keine Heilige, sondern ein Gnadenbild. Nein, ich hatte auch keine Ahnung, was das ist, aber seien wir mal ehrlich: Wer versteht den ganzen Hokuspokus schon wirklich?
Am 9. Dezember 1531 soll am Stadtrand von Mexiko-Stadt dem Indio Juan Diego Cuauhtlatoatzin (1474–1548) viermal eine schöne Frau erschienen sein, die sich als „eure erbarmungsreiche Mutter, die Mutter aller Menschen“ bezeichnete. -Wikipedia
Die Erscheinung soll Juan Diego aufgetragen haben, den örtlichen Bischof darum zu bitten, auf dem Berg ihrer Erscheinung eine Kapelle zu bauen. Was der Bischof natürlich erst mal nicht glaubte, woraufhin Juan Diego auf Geheiß der Erscheinung mitten im Winter Rosen pflückte. Als er seinen Mantel (damals gab es noch keine Plastiktüten) mit den Blumen vor dem Bischof ausbreitete, war auf dem Mantel das Abbild Marias zu sehen – was den Bischof so beeindruckte, dass er prompt die Kapelle bauen ließ.
Wichtig, wichtiger, virgen
Für viele Mexikaner ist die Virgen daher die Superheilige schlechthin – eben weil sie sich nicht gleich dem Bischof zeigte, sondern einen indigenen Vermittler gewählt hat. Wäre man böse, könnte man natürlich einwenden, dass sie den Mexikaner als running boy für die Drecksarbeit benutzt hat – aber wer wäre schon so böse? Der katholischen Kirche passte die Geschichte jedenfalls blendend bei der Konvertierung der Überzeugung der Naturvölker ins Konzept. Ob man deshalb jetzt wirklich win-win sagen darf, halte ich allerdings für zweifelhaft. Für Juan Diego hat es sich jedenfalls gelohnt, er wurde 2002 heiliggesprochen – warum genau, habe ich in der Kürze der Zeit nicht herausfinden können.
Unbestritten ist jedenfalls die Bedeutung der Virgen für die Mexikaner. Sie ist so wichtig, dass an der Stelle, an der ursprünglich die Kapelle errichtet wurde, mittlerweile –
sofern ich mich nicht verzählt habe – gleich drei Kapellen, ein Tempel/Konvent und sicherheitshalber auch zwei Basilikas (ich bin mir nicht sicher, ob das der korrekte Plural ist – man verwendet das Wort aber eben auch eher selten in der Mehrzahl) errichtet wurden.
Eine Stadt versinkt (sogar mehr als sonst) im Chaos
So viel zur Virgen, kommen wir zu den Feierlichkeiten: Warum der 12. Dezember dafür ausgewählt wurde, erschließt sich mir zwar nicht so ganz, fest steht aber, dass auf dem Berg der Virgen an dem Tag mächtig die Post abgeht. In den Fotos leider nur am Rande erkennbar: Viele Gläubige reisen für diesen in Trailern (also: auf der Ladefläche eines LKWs) an, einige mit dem Fahrrad, wieder andere mit Bussen oder der Metro. Kurz gesagt: Mexiko City ist am 12. Dezember zumindest in Teilen dicht.
Gearbeitet wird an dem Tag natürlich (wenn irgend möglich) auch nicht – was nur vernünftig ist, würde das doch nur weiter zum Verkehrschaos beitragen. Wer nicht Sinn und Verstand genug hat, den Anlass für eine Reise in einen anderen Landesteil zu nutzen, macht sich stattdessen mit Kind und Kegel auf zur Basílica seines Vertrauens – am besten mit einem oder gleich mehreren Bildern der Virgen im Gepäck (ansonsten auch – oh Wunder! – vor Ort käuflich zu erwerben).
Mit abnehmender Entfernung zur Basílica nehmen dann
die Menschenmassen und vor allem der Geräuschpegel zu. Frei nach der mexikanischen Relativitätstheorie (Stärke des Glaubens = Krach² mal Devotion) hört man von Kindergeschrei über Fußrasseln bis hin zu Peitschenhieben (zum Vertreiben böser Geister) so ziemlich alles auf dem normalerweise geräumigen Platz vor den Kirchen.
Ablass für alle
Die Gläubigen kommen dabei aus allen Landesteilen (mit Ausnahme des Südens unter Umständen, die eine eigene Zeremonie haben, allerdings ohne das Original-Tuch mit dem Gnadenbild), denn natürlich gibt es einen besonderen Anreiz: Wer zur Basílica pilgert, bekommt seit Papst Gregor XIII (für alle, die es interessiert: Der Urheber des gleichnamigen Kalenders) seine Sünden erlassen. Was mich persönlich auf die Anwesenheit des mexikanischen Staatsoberhaupts, Enrique Peña Nieto, hoffen ließ – aber man kann nun einmal nicht alles haben.
Wer sich besonders schwerer Sünden schuldig gemacht hat (oder schuldig fühlt), kann die Reise auch auf Knien zurücklegen. Die Virgen gilt aus diesem Grund auch als Schutzheilige der Orthopäden. Angeblich gibt es immer wieder Gläubige von weiter her, die die komplette Pilgerung auf Knien zurücklegen – vom Zustand der überwiegenden Mehrzahl der Knie her zu urteilen konnte ich aber keinen derartigen Sündenbold entdecken.
Auch in Mexiko ist jeder Jeck anders
Besonders schön ist am 12. Dezember aber die Verbindung indigener und christlicher Elemente zu beobachten, wie sie für den katholischen Glauben bei großen Teilen der mexikanischen Bevölkerung typisch ist. Ganz ohne Berührungsängste beten hier Schamanen-Frauen in die vier Himmelsrichtungen, Gläubige im Aztekenkostüm mit beeindruckendem Kopfschmuck tragen die Standarte der Virgen vor sich (am Rande: Die ursprüngliche Flagge Mexikos während der 1. Revolution) und wer nicht auf seine Hände aufpasst, bekommt daraus in atemberaubender Geschwindigkeit die Zukunft abgelesen. So wirkt der Día de la Virgen de Guadalupe wie eine Mischung aus einem ökumenischem Gottesdienst aller Weltreligionen, einem Besuch des Phantasialands und einer Kombination brasilianischen und kölschen Karnevals – und das alles auf einem Areal, das schätzungsweise zwei Fußballfelder beherbergen könnte.
Dennoch: Der Feiertag verläuft (wenn auch im Angesicht eines selbst für DF massiven Polizeiaufgebots) friedlich und die Gläubigen scheinen ihren Spaß zu haben. Der Schmelztiegel unterschiedlichster religiöser Ansichten ist dabei typisch für die mexikanische Art, Katholizismus zu leben: Streng gläubig heißt hier nämlich keinesfalls, alles aus dem Mund der Priester für bare Münze zu nehmen, sondern einfach nur, dass man völlig von dem Glauben überzeugt ist. Egal in welcher Form.