New Orleans: Musik und Mardi Gras
New Orleans. Yeah. Magic. New Orleans, New Orleans. New Orleans. Jazzclub. My home town. First time I ever heard the music. But every time I go to New Orleans, somebody’s gonna show me the real thing. And every time I go to New Orleans, I’m convinced that I am Jelly Roll Morton. – Eric Burdon
Gut, New Orleans ist nicht meine Heimatstadt – aber man kann nicht abstreiten, dass von diesem Ort eine gewisse Magie ausgeht. Mein Flugzeug kommt gegen 20 Uhr in New Orleans an, es ist bereits dunkel und aus dem Fenster sehe ich die Lichter der Stadt unter mir. Kein riesiges Lichtermeer wie in Mexiko City, sondern zahlreiche kleine warme Lichter, verschwommen hinter Nebel oder Wolken, die allenfalls erahnen lassen, dass dort unten eine Stadt wartet.
Ein kleines bisschen wie zu Hause: Karneval!
Das letzte Mal war ich 2012 in New Orleans (von den Einheimischen übrigens ausgesprochen als Nu Orlinns und nicht als Niuh Orlihns) und schon damals bin ich entgegen meiner Reisegewohnheit – und auf Drängen meines damaligen Hosts Lionel, der mich ziemlich attraktiv fand – länger als die üblichen drei Nächte geblieben. Dieses Mal bin ich unwissend mitten zur Mardi Gras Season in New Orleans angekommen. Mardi Gras ist der New Orleansische Karneval, entfernt verwandt mit der Kölner Variante aber ungleich viel besser, der die Stadt für rund zwei Wochen auf den Kopf stellt.
Wobei New Orleans ohnehin ein Ort ist, der die meiste Zeit den Kopf ganz woanders zu haben scheint als den Rest des Körpers. In New Orleans darf man beispielsweise Alkohol in der Öffentlichkeit konsumieren (unvorstellbar für den Rest der USA). Allerdings muss sich der Alkohol dabei in Plastikbehältern befinden – eine recht spezifische Regelung also, die dennoch die Bourbon Street mitten im French Quarter zu einer der beliebtesten Partymeilen der USA macht, von der es sich aus genau diesem Grund
zumindest abends möglichst fernzuhalten gilt.
Die Kultur auf der Straße
Stattdessen geht man lieber ein bisschen weiter auf die Frenchmen Street. Völlig egal, in welchem Hostel man in New Orleans eincheckt (und ich habe immerhin drei Hostels ausprobiert) – die Frenchmen Street wird Touristen als der Ort empfohlen, an den die locals gehen. Was zur Hälfte völlig falsch ist und zur Hälfte stimmt. Tatsächlich gehen auf die Frenchmen Street mindestens so viele locals wie Touristen und das hat einen einfachen Grund: Hier spielt die Musik – ganz im Sinne des Wortes. Denn New Orleans hätte ohne Musik keine Daseinsberechtigung und meine private kleine Theorie ist: Gäbe es irgendwann auch nur eine einzige Sekunde ohne Musik in New Orleans (und die Gefahr ist gering), die Stadt würde auf der Stelle in sich zusammenbrechen, weil ein bisher unentdecktes Naturgesetz damit verletzt würde.
Denn New Orleans ist die Geburtsstadt des Jazz. Um das zu bemerken, braucht es keine besonders ausgeprägte Beobachtungsgabe – es ist beispielsweise die einzige mir bekannte Stadt, die ihren Flughafen nach einem Musiker benannt hat (ihr dürft dreimal raten, nach wem). Aber selbst wenn man nicht mit dem Flugzeug ankommt: Kaum ist man im French Quarter, sieht man an jeder Ecke Straßenmusikanten. Auch im Bywater District schallt Jazz aus den Bars und mit etwas Glück spielt gerade eine Live-Band im Healing Center. Und ist man während Mardi Gras in der Stadt, spielt zusätzlich gerade eine Marching Band auf einer der zahlreichen Paraden auf St. Charles in Uptown. In anderen Teilen der Stadt sitzen vermutlich gerade schwarze Männer mit Sonnenbrillen in einer Bar, die nur öffnet, wenn man klingelt und die so rauchig ist (in New Orleans darf man in den meisten Bars rauchen), dass die Sonnenbrillen mehr Rauch- als Sichtschutz bieten.
Nur um das klarzustellen: New Orleans ist keinesfalls nur Jazz, es werden durchaus auch andere Musikrichtungen gespielt. Die Stadt hat 31 Radiosender, darunter vier, die mehr oder weniger ausschließlich Rock spielen (und lediglich drei für Jazz), aber in keiner anderen Stadt hat Jazz einen so hohen Stellenwert. Überhaupt haben Musik und Kultur eine Sonderrolle in dieser Stadt. Eine New Orleanian die ich in einer Jazzbar (wer hätte es gedacht …?) kennen gelernt habe erklärt es folgendermaßen: „New Orleans schließt seine Kultur nicht in Museen ein. Die Kultur von New Orleans findet auf der Straße statt. Sie ist überall.“ Was durchaus stimmt: Mehr oder weniger alles, wofür New Orleans berühmt ist, ist frei zugänglich und offen. Die berühmten Street Cars, über die Tennessee Williams so gerne schrieb, werden nach wie vor zum Transport benutzt (3 Dollar für den Day Pass), die Musik findet sowieso auf der Straße statt und der Mississippi weist neben einer beeindruckenden Anzahl von Doppelkonsonanten vor allem eine Eigenschaft auf: Er ist problemlos zu besichtigen (auch wenn die Fahrt auf dem Schaufelraddampfer zugegebenermaßen recht teuer ist).
Das Beste und das Schlechteste der USA
New Orleans ist ein geschichtsträchtiger Ort. Dass es die
„Wiege des Jazz“ genannt wird, liegt nicht so sehr daran, dass die Stadt besonders offen gewesen wäre, sondern daran, dass sie ein Knotenpunkt für den Sklavenhandel war. Nicht umsonst (im doppelten Sinne, die Tour kostet 140 Dollar) kann man eine Tour zu den ehemaligen Baumwollplantagen unternehmen, die nicht zuletzt als Sets für Filme wie 12 Years a Slave oder Django herhalten durften. Und noch heute ist die Ungleichheit spürbar: In den öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen überwiegend Schwarze und auch bei McDonald’s stehen hinter dem Tresen nicht etwa die weißen Bewohner der Stadt. Louisiana, der Bundesstaat in dem sich New Orleans befindet, liegt an 41. Stelle im Pro-Kopf-Besitz, an 44. Stelle in der Kriminalitätsrate, an 47. Stelle bei Fettleibigkeit und Einkommensungleichheit und an 48. Stelle bei den High-School-Abschlüssen.
Für mich persönlich vereint die Stadt das Beste und das Schlechteste der USA. Spätestens seitdem Napoleon sie 1803 für 15 Millionen Dollar an die USA verkaufte (und ich habe das Gefühl, dass ich an dieser Stelle hinzufügen muss: Nein, das habe ich ausnahmsweise nicht erfunden), ist die Stadt ein Schmelztiegel par excellence. Spanische, französische, englische, afrikanische und kreolische Einflüsse prägen das Stadtbild und die Mentalität der Menschen ebenso wie die Kultur der Stadt. Gleichzeitig steht im Park vor der Kathedrale mit dem Denkmal für General Jackson ein schönes Symbol für die gespaltene Geschichte der Stadt. Jackson besiegte zwar 1815 die Briten in der Schlacht von New Orleans – eine Schlacht, die mit heutigen Kommunikationsmitteln vermutlich vermeidbar gewesen wäre, da Ende 1814 in Gent bereits ein Friedensvertrag zwischen den USA und Großbritannien geschlossen wurde – was ihm nicht zuletzt die Präsidentschaft einbrachte, gilt aber gleichzeitig als ausgesprochener Indianerhasser und Anhänger der Sklaverei (und, das aber jetzt aber wirklich nur am Rande, als Begründer der Demokratischen Partei), der eigens nach Florida einmarschierte, um entflohene Sklaven wieder einzufangen.
Eine einzigartige Stadt
Es gäbe noch so viel zu erzählen über die Swamplands, die die Stadt umgeben und sowohl der Piraterie Vorschub leisteten als auch die Sklaven an der Flucht hinderten, über den süß-feurigen Cinnamon Whiskey, über die Indianerstämme, die das wirre Treiben der Paraden von Mardi Gras nutzten, um lokale Fehden auszutragen oder über die Wahrsager und Handleser vor dem Kathedrale von St. Louis – aber wo kämen wir da hin? Um es kurz zu machen: New Orleans ist ein einzigartiger Ort. Louis Armstrong und Billie Holiday gaben der Stadt mit „Do You Know What It Means to Miss New Orleans?“ ihre eigene Hymne – und auch meine zuvor erwähnte Barbekanntschaft hat ein passendes Zitat auf Lager: „New Orleans ist wie eine Geliebte, die du viel mehr liebst, als sie dich zurück liebt.“ Vermutlich in diese eher dysfunktionale Beziehung der Gesundheit in ähnlicher Weise zuträglich wie das standardmäßig frittierte Essen in New Orleans, dennoch: Ich kann es kaum abwarten, diese Geliebte irgendwann wieder zu besuchen. Selbst wenn sie mich in der Zwischenzeit vergisst.